Begründung der Namensgebung
Die historische Bedeutung von Paul Moor im deutschen und europäischen Sprachraum
Zusammen mit seinem Vorgänger Hanselmann gilt Paul Moor als Begründer und Klassiker der modernen Heilpädagogik in den deutschsprachigen und in weiteren europäischen Ländern. Paul Moor etablierte die Heilpädagogik als eigenständige wissenschaftliche Disziplin gegenüber der Medizin. Lange Zeit war es nur möglich, über den Weg nach Zürich zu einem universitären Abschluss in der Heilpädagogik im deutschen Sprachraum zu gelangen. Paul Moor hat die Heilpädagogik nicht nur in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich nachhaltig geprägt, sondern auch in den Niederlanden und im gesamten osteuropäischen Raum (Tschechien, Slowakei und Ungarn, Rumänien). Seine Hauptwerke gehören heute zu den bedeutenden Standartwerken in der Heilpädagogik und in der Heilpädagogischen Psychologie.
Der integrative heilpädagogische Ansatz von Paul Moor
Paul Moor sah in der Heilpädagogik keine stigmatisierende Sonderform von Pädagogik (Sonderpädagogik) sondern er verstand die Heilpädagogik als eine allgemeine Pädagogik, die erschwerende Umstände in den Blick nimmt. Deshalb nannte er sein Einführungsbuch in die „Heilpädagogik“ im Untertitel schlicht ein „pädagogisches Lehrbuch“. In der Tradition von Paul Moor – und der seines Vorgängers Heinrich Hanselmann – ist Heilpädagogik in ihrer Grundidee als Integrationspädagogik und keineswegs als stigmatisierende Aussonderungspädagogik zu verstehen. Für Paul Moor gibt es keine besondere Anthropologie für Menschen mit Behinderungen:
Heilpädagogik ist Pädagogik und nichts anderes
Moor 1974, 273
"Heilpädagogik ist die Erziehung derjenigen Kinder, deren Entwicklung durch individuelle oder soziale Faktoren dauernd gehemmt ist." (Moor 1974, 11). "Die Hilfe der Heilpädagogik besteht in einer angemessenen Erziehung dort, wo erschwerende Bedingungen vorliegen." (Moor 1974, 259f)
Die Orientierung an der philosophischen Anthropologie
Moor entwirft eine wissenschaftliche Heilpädagogik, die sich in ihrer pädagogisch-anthropologischen Grundlegung an der philosophischen Anthropologie orientiert (z.B.: Nicolai Hartmann, Max Scheler, Karl Jaspers und Ludwig Binswanger).
Moor versteht seine Heilpädagogik als eine wertgeleitete Wissenschaft, die sich von den Vorbildern positivistischer und wertfrei arbeitender empirischer Psychologien oder Erziehungswissenschaften abhebt.
Wie die aktuelle fachwissenschaftliche Diskussion zeigt, verstärkt sich in jüngster Zeit das Interesse, eine behindertenpädagogische Metatheorie wieder geisteswissenschaftlich zu begründen und zwar von der verstehend und deutend erfahrbaren Erziehungswirklichkeit her.
Zu den bekanntesten Vertretern, die aus dieser Züricher Schule der Heilpädagogik hervorgegangen sind: Urs Haeberlin, Emil Kobi, Peter Schmid („Verhaltensstörungen aus anthropologischer Sicht“).
Die Aktualität der Aussagen zum Thema Menschenbild
Paul Moor vertritt ein Menschenbild, das die subjektive Sinnhaftigkeit menschlicher Existenz und menschlichen Verhaltens respektiert und thematisiert.
Damit war Paul Moor seiner Zeit voraus und ist heute topaktuell: Sein Menschenbild sowie sein Verständnis von Behinderung und von den Aufgaben der Erziehung findet gerade heute aufgrund der Aussagen zum Thema Menschenbild in der wissenschaftlichen Diskussion eine besondere Beachtung und Bedeutung. In allen heutigen Grundwerken der Heilpädagogik findet das Werk von Paul Moor insbesondere aufgrund dieser Aussagen zum Thema Menschenbild besondere Beachtung (Speck: „System Heilpädagogik“; Haeberlin: „Das Menschenbild für die Heilpädagogik“; Haeberlin: „Paul Moor als Herausforderung“...)
Die grundlegenden Fragen nach Sinn- und Wertorientierung bestimmen seinen Ansatz.
Nach Ralf Reissel bestimmen drei Sachverhalte die Erziehungstheorie Paul Moors:
- die personale Sichtweise des Menschen
- die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage
- das Primat der personalen Liebe in der pädagogischen Begegnung
Der „Innere Halt“ – ein Beitrag zur Stärkung der Resilienz
Das Ziel der Erziehung, das Paul Moor mit seinem pädagogischen Gesamtkonzept intendiert, ist der „Aufbau des Inneren Haltes“. Paul Moor entwickelt in seinem Werk eine Theorie des „Inneren Haltes“. Dieser „Innere Halt“ ist bei Paul Moor engstens verknüpft mit den spezifisch personalen Möglichkeiten der Selbstbestimmung und Selbstgestaltung(Autonomie).
Im Moor’schen Haltbegriff wird eigentlich das – in einer erziehungswissenschaftlich sicherlich problematischen Diktion – zum Ausdruck gebracht, was auf Selbständigkeit der Lebensführung hinausläuft und zwar im Sinne einer sittlichen Autonomie auf der Basis eines sinnerfüllten Lebens. Es geht um die innere Integriertheit eines von Lebenssinn und Bindung getragenen Konzeptes für die eigene Lebensbewältigung, für die eigene Existenz.
Der Innere Halt entwickelt sich in Wechselwirkung mit dem äußeren Halt, den die Umgebung des Menschen bietet. Innerer Halt wird nicht als statisch und „fertig geworden“ begriffen, sondern bleibt ergänzungsbedürftig durch den äußeren Halt der Umgebung.
Wenn der „Innere Halt“ das ist, was dem Menschen eine innere Kraft, einen Halt oder eine Orientierung verleiht, dann geht es hier – mit anderen Worten ausgedrückt – insbesondere um einen ressourcenorientierten Ansatz, der sich um die Förderung und Stärkung der Resilienz bemüht. In der Psychologie wird mit Resilienz die Stärke eines Menschen bezeichnet, Lebenskrisen möglichst ohne anhaltende Beeinträchtigung durchzustehen. Unsere Schule bemüht sich im Rahmen der Schulentwicklungsarbeit darum, Resilienz von Schülerinnen und Schülern im schulischen Kontext mit Hilfe verschiedener Programme zu fördern
Ziel der Erziehung ist der Aufbau des inneren Halts Nicht gegen die Fehler, sondern für das Fehlende! Wir müssen das Kind verstehen, bevor wir es erziehen
Literatur:
Primärliteratur:
Moor, Paul: Heilpädagogik. Ein pädagogisches Lehrbuch. 3., unveränderte Aufl. Bern, Stuttgart und Wien: Hans Huber, 1974.
Moor, Paul: Heilpädagogische Psychologie. Grundtatsachen einer allgemeinen pädagogischen Psychologie. 3., unveränderte Auflage Bern und Stuttgart: Hans Huber 1967
Sekundärliteratur:
Urs Haeberlin: Paul Moor als Herausforderung. Anfragen an die Aktualität seiner Schriften zur Heilpädagogik und Erinnerungen von Zeitzeugen an seine Person. 25. Beiheft zur Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete. Bern, Stuttgart und Wien: Paul Haupt 2000.
Urs Haeberlin: Allgemeine Heilpädagogik. Einführung in die Heilpädagogik Band 1. 3. Auflage Bern und Stuttgart: Paul Haupt 1992
Urs Haeberlin: Das Menschenbild für die Heilpädagogik. Einführung in die Heilpädagogik band 2. 2., durchgesehene Auflage Bern und Stuttgart: Paul Haupt 1990
Otto Speck: Chaos und Autonomie in der Erziehung. Erziehungsschwierigkeiten unter moralischem Aspekt. 2., überarbeitete Auflage München und Basel: Ernst Reinhardt 1997
Otto Speck: System Heilpädagogik. Eine ökologisch reflexive Grundlegung. 2., aktualisierte Auflage München und Basel: Ernst Reinhardt 1991
Peter Schmid: Verhaltenstörungen aus anthropologischer Sicht. Elemente einer Psychologie und Pädagogik für Verhaltensgestörte. 2., durchgesehene Auflage Bern und Stuttgart: Paul Haupt 1987.
Miriam Stiehler: Behandeln oder Erziehen? Paul Moor als Alternative zur Medikalisierung in der Pädagogik. Klinkhardt Forschung, 2007.